Die französische Mentalität

Wenn Sie es mit französischen Geschäftspartnern zu tun haben, werden Sie schnell merken, dass ohne gute Verbindungen mit Franzosen gar nichts geht. Und diese Verbindungen müssen Sie sich erarbeiten. Sicherlich haben Sie sich schon gewundert, warum Franzosen auf Ihre Emails nicht antworten. Die Antwort ist: Sie kennen Sie nicht oder nicht gut genug und haben keine Lust, Ihnen zu antworten. Das ist anders als in Deutschland, wo wir eigentlich auf jede persönlich an uns gerichtete Email antworten. Deutsche fühlen sich innerlich zum Antworten verpflichtet. Stellen Sie sich deshalb telefonisch, am besten natürlich persönlich, bei den Franzosen vor, statt ihnen Emails zu schreiben.

Das Erarbeiten von Verbindungen funktioniert am besten im persönlichen Kontakt. Dafür gibt es zwei Erfolgsfaktoren: Der eine ist Zeit. Nehmen Sie sich Zeit für und mit Franzosen. Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus.

Beispiel: Es kann durchaus vorkommen, dass Sie von einem wichtigen französischen Zielkunden nach Frankreich eingeladen werden. Er wird Sie unter Umständen in Paris zum Essen einladen. Das Ambiente und das Essen werden hervorragend sein. Aber Sie werden kaum Gelegenheit bekommen, um die geschäftlichen Dinge zu besprechen, die Sie weitertreiben möchten. Stattdessen wird Ihr Kunde mit Ihnen über die politische Situation in Deutschland reden und mehr über Sie persönlich erfahren wollen. Sie werden über Musik und Literatur plaudern und sich dann wieder verabschieden. Ihrem Zielkunden geht es gar nicht um geschäftliche Details; vielmehr ist es ihm ein Anliegen, Sie als Person kennenzulernen und Vertrauen zu Ihnen zu finden. Das Geschäft wird sich dann schon aufbauen.

Verbringen Sie die in vielen Unternehmen lange Mittagspause nicht allein, sondern nutzen Sie sie dazu, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Wenn Sie die Mittagspause allein verbringen, werden Sie nicht gut angenommen. Nutzen Sie die Chance, um französische Kollegen besser kennenzulernen. Vermeiden Sie aber, in der Mittagspause über das Geschäft zu sprechen, sondern wählen Sie private Themen.

Der zweite Erfolgsfaktor ist die Sprache. Die meisten Franzosen werden versuchen, Französisch mit Ihnen zu sprechen. Wenn Sie Franzosen auf Englisch ansprechen, reagieren sie zumindest gedämpft. Viele Franzosen sprechen schlecht Englisch und empfinden die Situation, Englisch zu sprechen, als unangenehm. Es schwingen aber auch gelegentlich noch historisch bedingte Ressentiments mit, wenn sie lieber bei der französischen Sprache bleiben. Sprechen Sie Franzosen deshalb am besten in französischer Sprache an. Das werden sie Ihnen anerkennen.

Franzosen gehen die Arbeit aber auch ganz anders an als Deutsche. In Deutschland ist Zeit Geld. In Frankreich ist Zeit Lebensqualität, auch geschäftlich. Das heißt nicht, dass Franzosen weniger lange arbeiten als Deutsche. Ganz im Gegenteil: Oft sind Franzosen abends deutlich länger im Büro, allerdings auch dann, wenn sie gar nicht wirklich viel zu tun haben. Sie lassen sich Zeit und fühlen sich dabei wohler. „Nous ne sauvon pas des vies ici.“ („Wir retten hier doch keine Leben.“) Effizienz ist in Frankreich nicht so vorrangig wie in Deutschland.

Deutsche nehmen Deadlines sehr ernst. In Frankreich wird eine Deadline eher als eine Idee verstanden, aber ohne Verbindlichkeitscharakter. Es ist in Frankreich völlig selbstverständlich, dass Deadlines überzogen werden. Das nimmt Druck aus dem Leben der Franzosen. Projekte dauern eben länger. Dafür müssen Deutsche in der Zusammenarbeit mit Franzosen Feingespür aufbringen und Geduld haben. Franzosen gehen Projekte oft sogar erst in der letzten Minute an.

Auch Perfektion hat bei Franzosen nicht den Stellenwert, den sie in Deutschland hat. Treten Fehler auf, werden sie eben korrigiert. Fehler sind weniger schlimm als in Deutschland. Das wirkt sich gelegentlich auf die Qualität aus, hat aber enorme Vorteile in Bezug auf die Innovationskraft. Franzosen sind kreativ, weil sie es sein dürfen. Der letzte Feinschliff wird an Produkten gelegentlich nicht mehr durchgeführt. Auch das verschafft den Franzosen Lebensqualität. Und die Ansprüche an Perfektion sind bei Franzosen nicht so stark ausgeprägt wie ihre Ansprüche an Innovation.

Franzosen antworten zwar auf Ihre Fragen, aber Sie werden oft feststellen, dass sie Ihnen Ihre gestellten Fragen gar nicht präzise beantwortet haben. Franzosen assoziieren mit der Frage etwas, auf das sie dann durchaus ausführlich eingehen.

Beispiel: Wenn Sie zur Bewertung einer Maschine, die an einem Produktionsstandort in Südfrankreich installiert ist, einen Termin vereinbaren möchten, kann es sehr lange dauern, bis der Termin mit allen Personen abgestimmt ist. Wenn Sie endlich alle vor Ort eintreffen, kann es durchaus sein, dass die Maschine, um die es geht, gar nicht mehr da ist ? (kein Witz).

Kulturelle Unterschiede werden offensichtlich, wenn Deutsche und Franzosen Projekte präsentieren: Deutsche werden die Fakten zur Wirtschaftlichkeit und zu bestehenden Risiken sowie finanzielle Kennzahlen hervorheben, wobei sich Franzosen langweilen. Franzosen sprechen mit oft weitschweifigen Ausführungen und anschaulichen Beispielen Emotionen an. Statt Deutsche damit zu begeistern, bleiben für sie oft konkrete Fragen offen; ihnen ist die Faktenlage zu unvollständig oder zu ungenau. Franzosen erwidern in solchen Situationen üblicherweise, die Fragen zu einem späteren Zeitpunkt zu beantworten und Lösungen dafür zu finden. Deutsche wollen zunächst überzeugende Argumente, Franzosen möchten mit der Umsetzung anfangen.

So setzen sich die Gegensätze in der Umsetzung fort. Während es Franzosen darum geht, die wichtigsten Aspekte eines Projektes zu identifizieren und Konturen zu zeichnen, möchten Deutsche einen vollständigen und detaillierten Projektplan sehen. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen speisen sich aus unterschiedlichen Motiven für Engagement. Für Franzosen sind wichtige Beweggründe Herausforderungen, Innovationen und Entwicklungen. Bei Deutschen stehen als Beweggründe eher die Wirtschaftlichkeit und die Sicherheit im Vordergrund. Deshalb möchten Deutsche alle Fakten kennen und möglichst jeder Unsicherheit durch gute Vorbereitung entgegenwirken. Franzosen sind weniger um die Zukunft besorgt als Deutsche. Das wirkt sich auch auf die Art und Weise aus, wie Franzosen und wie Deutsche Konzepte erarbeiten. Deutsche kommen vorbereitet in einen Workshop und erstellen dann zusammen einen Plan. Sie konzentrieren sich darauf, den besten Plan zu machen. Franzosen kommen unvorbereitet in den Workshop. Für Franzosen ist ein Konzept ein kreatives Brainstorming. Franzosen gelingen oft „große Würfe“, während Deutsche Bewährtes im Detail konstruktiv perfektionieren.

Auch die Führungskultur ist in Frankreich typischerweise anders als in Deutschland. Franzosen sind sehr hierarchie- und autoritätsorientiert. Chefs wollen die Kontrolle und zeigen, dass sie Macht haben. Mitarbeiter warten auf Weisungen von oben. Jede Aktivität muss formal freigegeben werden. Eigenverantwortung der Mitarbeiter ist in Frankreich weniger gefragt als in Deutschland.

Französische Organisationen kennen vergleichsweise viele Hierarchieebenen, und Franzosen erwarten, dass Hierarchien respektiert werden. Wer Hierarchieebenen übergeht, hat künftig ein schwieriges Leben. Die langen Entscheidungswege führen dazu, dass Vorgänge recht lange dauern. Man muss trotzdem den Franzosen gegenüber respektvoll bleiben, weil man andernfalls gar nichts erreicht.

Beispiel: Wenn Sie ein Unternehmen führen, das eine Beteiligung einer französischen Private Equity-Gesellschaft ist, werden Sie viel enger kontrolliert und geführt, als wenn Sie deutsche oder niederländische Gesellschafter hätten. Ihnen bleibt in der Regel erheblich weniger Freiraum für eigene Gestaltung.

Die Hierarchiekultur der Franzosen schwächt auch ihre Wirksamkeit in Teams. In Team-Arbeit mit Franzosen macht zwar jeder irgendetwas, aber Franzosen sind es nicht gewohnt, sich untereinander zu koordinieren. Wenn eine Ansage „von oben“/ fehlt, kommt nichts Abgestimmtes heraus. In Deutschland, wo Manager ihre Rolle schon seit längerer Zeit eher als Mentoren, Förderer und Unterstützer wahrnehmen, funktioniert Team-Arbeit besser.

Und noch ein wichtiger Aspekt im Umgang mit Franzosen: Franzosen sagen zwar höflich „vous“ zueinander, sprechen sich aber mittlerweile in vielen Organisationen mit den Vornamen an. Verstehen Sie das Angebot eines Franzosen, sich mit Vornamen anzusprechen, nicht als Einladung zum Duzen.

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