Die chinesische Mentalität

Die chinesische Mentalität, die sich zwischen Kommunismus und Kapitalismus bewegt, ist schwierig zu verstehen. In dieser sozialistischen Marktwirtschaft denken Chinesen langfristig.

Während wir Mitteleuropäer Freiheit, Menschenrechte und die freie Meinungsäußerung als Selbstverständlichkeit kennen, sind Chinesen völlig anders geprägt. Zwar sind Harmonie und Toleranz wichtige chinesische Werte, aber auch die im Konfuzianismus begründete bedingungslose Akzeptanz der Hierarchie. Chinesen ehren ältere Menschen und Menschen in höheren Positionen. Chinesische Unternehmen sind streng hierarchisch organisiert. Titel und Seniorität haben für Chinesen eine große Bedeutung. Mitarbeiter führen Anweisungen ihrer Vorgesetzten vorbehaltlos aus. Aufgrund der kollektivistischen Kultur sind es die meisten chinesischen Mitarbeiter weder gewohnt, kritisch zu denken und Dinge zu hinterfragen, noch würde es toleriert. In den Metropolen setzt sich allerdings allmählich ein kooperativer Führungsstil durch.

Gegensätze gehören in der chinesischen Kultur untrennbar zusammen (Ying-Yang). Deshalb können auch der autoritäre Kommunismus und die Marktwirtschaft in China durchaus koexistieren. Traditionelle und moderne Werte können gleichzeitig gepflegt werden. Der Taoismus lehrt die Chinesen, nicht in die „Natur“ einzugreifen und Zufriedenheit aus der Situation zu beziehen, wie sie ist. Das ist eine Voraussetzung, um die Bevölkerung in dem staatlich kontrollierten Land loyal zu halten.

Die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Regionen sind groß, aber es gibt eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen der chinesischen Mentalität.

Chinesen sind sehr fleißig und geschäftstüchtig. Das drückt sich in dem Begriff „xinku“ aus, einem der wichtigen chinesischen Werte. Sie wollen erfolgreich sein. Sie wollen ihren Wohlstand verbessern und zeigen ihren Erfolg offen. Während sich Europäer freuen einen Louis-Vuitton-Fake für wenig Geld zu bekommen, möchten Chinesen aus der Mittelschicht einen echten Louis Vuitton tragen. Den Erfolg durch den Lebenswandel und Luxusmarken zu zeigen, ist in China auch ein Teil der Kultur. Chinesen bewegen sich zwischen der staatlichen Mehrjahresplanung und der Möglichkeit, unmittelbar zu konsumieren. Sie sehen die Chance, nicht nur preiswert zu produzieren, sondern selbst innovative Produkte zu entwickeln und möglichst unabhängig von der kommunistisch ausgerichteten Politik Weltmärkte anzuführen. Das ist für Chinesen eine Gratwanderung. Handelsplattformen wie Alibaba und Mobiltelefonhersteller wie Huawei können sich in China nur entwickeln, weil sie mit der kommunistischen Regierung eng kooperieren.

Chinesische Unternehmen werden sogar gefördert, wenn sie dazu beitragen, die Kontrolle Chinas auszuweiten, beispielsweise durch ausländische Unternehmenskäufe. Neben Technologieunternehmen und Investitionsgüterherstellern wie Kuka sind inzwischen auch Infrastrukturunternehmen, Energieversorger und Telekommunikationsunternehmen, also sicherheitsrelevante Unternehmen, als Komponenten des chinesischen langfristig angelegten Projektes „Neue Seidenstraße“ attraktive Übernahmekandidaten für Chinesen. Vordergründig verspricht China einen angeregten Welthandel, auf der politischen Agenda Chinas steht aber der weltweite Einfluss. Hier zeigt sich die langfristige Ausrichtung der Chinesen.

Für Chinesen treffen zwei Effekte zusammen, die sie antreiben: Das chinesische Wirtschaftswachstum ermöglicht vielen Chinesen einen Weg in den persönlichen Wohlstand und gleichzeitig das Gefühl, an etwas Großem beteiligt zu sein.

Der Aufbau von Vertrauen und tragfähigen Beziehungen mit Chinesen ist eine Voraussetzung für Geschäft („guan xi“). Schnelle Kaltakquise funktioniert in China nicht. Sie müssen in die Beziehung zunächst investieren, auch wenn es länger dauert („ren qing“). Auch Gastgeschenke „made in Germany“ werden von chinesischen Geschäftspartnern erwartet. Sie brauchen einen „langen Atem“, auch für Verhandlungen mit Chinesen. „Guan xi“ ist die Kunst, sorgfältig ein Beziehungsnetzwerk aufzubauen, in dem alle Auswirkungen jeder Aktivität auf jeden im fein gesponnenen Netzwerk wohldurchdacht ist. Chinesen ist immer bewusst, dass alles mit allem zusammenhängt.

Zur Höflichkeit gehört bei Chinesen, pünktlich zu sein, gepflegt aufzutreten, sich formell zu kleiden, sich gegenseitig zu siezen und sich mit dem Familiennamen anzureden, der in China oft noch vorn steht. Der Ranghöchste der chinesischen Gesprächspartner betritt immer als Erster den Raum und stellt sich dem Ranghöchsten Ihrer Delegation mit seinem Namen und seinem Rang vor. Stellen Sie Ihren Status auch offen heraus und zeigen Sie Ihren chinesischen Ansprechpartnern, über welche wichtigen Beziehungen Sie verfügen. Bilder mit Ihnen zusammen mit wichtigen Persönlichkeiten können dabei helfen. Körperliche Berührungen sind in China unüblich.

Zum Beziehungsaufbau gehört auch, dass Sie Gespräche mit Smalltalk einleiten, bevor Sie vorsichtig auf das eigentliche Thema zu sprechen kommen. Ein gutes Gesprächsthema ist der Fortschritt in China. Chinesen kommunizieren gern indirekt, indem sie umschreiben, was sie meinen. Ihre wahren Absichten bleiben allerdings oft lange unerkannt. Sie lächeln immer, auch in ihnen unangenehmen Situationen. Gefühle verbergen Chinesen hinter wohlklingenden Worten. Sie bleiben auch in emotional aufgeladenen Situationen in Sprache, Mimik und Gestik beherrscht. In praktischen Dingen ist es aber nicht ungewöhnlich, wenn ein Chinese Sie überraschend direkt fragt, wieviel Sie verdienen oder wie groß Ihr Büro ist. Diesbezüglich fehlt es Chinesen aus unserer Sicht an Feingespür.

Bereiten Sie sich auf Gespräche und Verhandlungen mit Chinesen gut vor. Finden Sie heraus, mit wem Sie sprechen müssen, um Ihre Ziele zu erreichen, und bringen Sie dessen Hierarchieebene in Erfahrung, um aus Ihrer Organisation jemanden auf derselben Hierarchieebene in das Gespräch zu entsenden. Andernfalls kann es Ihnen als Respektlosigkeit ausgelegt werden, und Sie werden gar nichts erreichen. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für Gespräche und Verhandlungen mit Chinesen, die sich konzentrisch auf ein Ziel zubewegen, nicht direkt. Chinesen setzen auch das Mittel des Schweigens gekonnt ein, um Verhandlungen zu beeinflussen.

Probleme werden von Chinesen gern aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt und nicht nur benannt, sondern auch ihre Entstehung beschrieben und in einen zeitlichen Zusammenhang gesetzt. Chinesen betrachten Probleme in ihrer Gesamtheit und eingebunden in ihr Umfeld.

Chinesen stellen ihre Gesprächspartner nicht bloß und möchten auch selbst nicht bloßgestellt werden.  Deshalb stellen Chinesen keine Fragen, auf die ihre Gesprächspartner voraussichtlich keine Antwort geben können; um ihr Gesicht zu wahren („mian zi“), bieten sie ihnen stattdessen gern mehrere Antworten an. Konkrete Fragen zu stellen, auf die klar mit „ja“ oder „nein“ geantwortet werden muss, sind bei Chinesen ungeliebt. Sie werden immer nach Alternativen suchen, um ein „nein“ zu vermeiden. Der kulturell verankerte Wert der Harmonie ist Chinesen wichtiger als das vordergründige Durchsetzen. Toleranz führt eher zum Ziel als sachliche Rechthaberei. Chinesen handeln nach dem Sprichwort: „Wenn man einem Baum seine Rinde nimmt, stirbt er.“ Chinesen betrachten Beziehungen als ihr soziales Kapital und als die wesentliche Ressource, mit der sie ihren Wohlstand und ihr Ansehen mehren. Deshalb werden sie Beziehungen immer pflegen und nicht zerschlagen.

Vieles in China ist kompliziert. Ausländer bekommen häufig „mei you“ zu hören („geht nicht“). Das kann damit erklärt werden, dass Chinesen keine Fehler machen möchten. Wer Fehler macht, gilt als Versager; deshalb machen Chinesen oft lieber gar nichts. Wenn Sie sich damit abspeisen lassen, werden Sie in China wenig erreichen. Chinesen agieren oft erst, wenn sie erkennen, dass Sie beharrlich sind.

Ein Klischee ist, dass Chinesen alles dreist kopieren. Während im mitteleuropäischen Kulturkreis jemand, der andere kopiert, eher Ablehnung erfährt, erhält in China jemand höchste Anerkennung, wenn er Gutes durch Kopieren möglichst nah erreicht. Dazu muss man verstehen, dass im Buddhismus derjenige die höchste gesellschaftliche Anerkennung erfährt, der möglichst nahe an die Ideale Buddhas herankommt.

Auch die langfristige Denkweise der Chinesen ist kulturell begründet. Das strategische Denken von Chinesen ist in den Strategemen begründet, die bereits vor 3.000 Jahren für die Kriegsführung eingesetzt wurden. Heute werden die Strategeme, in die heutige Zeit übertragen, in chinesischen Managementschulen gelehrt. In den Strategemen wird Weisheit mit List verbunden, um Ziele indirekt zu erreichen. Es geht u. a. zunächst darum, das Interesse seines Verhandlungspartners zu gewinnen und ihn zu gewissen Handlungen zu bringen, um dadurch Fakten zu schaffen, die den Chinesen langfristig Gewinn bringen.

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